Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

22. Mai 2020: Freude am Fahren

 Jo hallo, hier ist der Kernölbotschafter. In den letzten Tagen war nicht zu übersehen, dass der HG ein bisserl unrund durch die Pampa stapfte. Der Grund dafür wollte sich mir nicht erschließen, weil er bei allem, was er tut, recht zufrieden wirkt. Heute kam der HG zwar spät, dafür aber vor Freude strahlend ins Büro. Sofort musste ich ihn nach dem Grund seiner guten Laune fragen, klaro.

„Ich war in Graz“, antwortete er lapidar.

„Und dort ist etwas Super-duper-Tolles passiert?“

„Eigentlich nicht.“ Trotzdem grinste er wie ein Honigkuchenpferd. „Aber das Fahren an sich war …“ (ich konnte seiner Denkermiene ansehen, dass der HG nach einem schöngeistigen Wort suchte) … „einfach geil!“ Herrliche Szenen, wenn Poeten auf der Bodenständigkeit picken bleiben!

Jetzt war klar wie Rindsuppe ohne Frittaten, was ihm vorher so auf die Stimmung geschlagen hatte. Der HG wollte endlich wieder einmal voll Stoff geben, mit dem Gasfuß wedeln, so richtig die Sau rauslassen. Das rauscht durch den Organismus wie ein guter … Okay, das verkneife ich mir, schließlich will ich meinen Job behalten. Lieber erzähle ich Ihnen eine Geschichte vom HG, die zwar schon älter ist, aber  hervorragend verdeutlicht, wovon die Schreibe ist.

Das Oster-Verkehrsproblem

Ich nehme bisweilen, wenn ich von Feldbach nach Graz unterwegs bin, gerne die Route über St. Marein, Hohenegg und Laßnitzhöhe, weil dort nicht nur weniger Schwerverkehr herrscht als bis zur Autobahnauffahrt Gleisdorf Süd, sondern weil es zwischen den kleinen Ortschaften noch echte Herausforderungen für einen Lenker aus Leidenschaft gibt: Enge Kurven, in denen der Straßengraben das Bankett ersetzt; eine Topographie, welche dem Begriff Südoststeirisches Hügelland eine ei­gene Wahrheit verleiht; Fleckerlteppiche aus Asphalt, die in ihrer Kunstfertigkeit jeden morgen­ländischen Handknüpfer vor Neid erblassen ließen, bekäme er sie jemals zu Gesicht. Um einen In­siderbegriff zu verwenden, GTI – Gaudium total inbegriffen.

Genau dies leitete mich auch am Ostermontag in jene Gegend, doch was musste ich gleich nach dem seltsamen Ein-Berg-ein-Tal-Nest Siegersdorf feststellen? Alles verstopft! Jedoch nicht durch die Menge der Autos, die sich da vor mir auftürmte. Vielmehr geboten die Bauart der gezählten drei Fortbewegungsmittel und die darin befindlichen Passagiere meinem Jucken im Gasfuß und dem Drang, kleine Ausflüge in Gefilde jenseits der Gesetzesgrenzen zu unternehmen, abrupt Einhalt.

Das erste Gefahrenzeichen erspähte ich schon von weitem – eine schwarze Nummerntafel. Ich kann nicht genau sagen, wann die neuen, weißen Schilder nach jenem skurrilen Rechtsstreit zwischen einem nüchtern-amtlichen Entwurf und der eher verspielten Version des seligen Frie­densreich Hundertwasser eingeführt wurden, aber fünfzehn Jahre ist es bestimmt schon her. Somit liegt das weiter zurück, als die Autoindustrie einem fahrbaren Untersatz an Lebensjahren frei­willig zuzugestehen bereit ist.

Ich weiß durchaus, dass es Liebhaber gibt, welche die Verkehrstauglichkeit ihres Wagens mit aufopfernder Pflege um eine erstaunliche Zeitspanne verlängern können, wage aber auch die Behaup­tung, sämtliche Führerscheinbesitzer vor mir gehörten nicht zu dieser Spezies. Hier handelte sich wohl eher um Zeitgenossen, die ihr Auto so wenig benutzten, dass beim besten Willen nichts, was die Fahrtauglichkeit in irgendeiner Weise beeinträchtigte, kaputt gehen konnte. Dies legte mir die noch vor den Nummernschildern erspähten Marken und Typen der Gefährte nahe. Ohne jemanden beleidigen zu wollen: Liebhaber fahren etwa BMW M3, die umgebaute Kanonenkugel aus den Sieb­zigern, oder ein Schlachtschiff von Mercedes, das so aussieht, als hätte Jacques an seinem ersten Tag im Kindergarten während der Spielstunde fünf Bauklötze übereinander gestellt.

Hier aber traf ich auf Klassiker von der anderen Seite des Spektrums. Ein Ford Taunus, wie ihn auch mein Großvater besaß, dessen Sterbetag sich heuer zum achtzehnten Mal jährt (schon damals war dieses Auto alt, ehrlich!), und an den ich mich zwar lebhaft, aber doch aus der Perspek­tive eines neugierigen Kindes erinnere. Des weiteren ein Opel Kapitän, von solch blitzblankem   Orange, dass ich mir wünschte, er wäre seit seiner Geburt vor mehreren Jahrzehnten kein einziges Mal von seinem stolzen Besitzer in die Nähe einer Waschanlage – oder eines Gartenschlauchs – gelenkt worden. Die Vorhut bildete, quasi als Kontrastprogramm, ein Polo von Volks­wagen, den es zwar heute noch gibt, der aber mit einem Modell aus der aktuellen Baureihe nur mehr den Namen teilt, ich hebe jederzeit meine rechte Hand zum Schwur darauf. Der geschätzte Leser wird sich erinnern, dass die österreichische Post früher dieses Fahrzeug eingesetzt hat, bevorzugt in Landgemeinden. Nach Erneuerung des Fuhrparks (irgendwie müssen die Ge­winne aus den überteuerten Portogebühren reinvestiert werden!) wurde versucht, die alten Modelle unters gemeine Volk zu bringen, doch nur bei wenigen saß die Schamgrenze so hoch, dass sie es wagten, mit einem postgelben Polo aus der Steinzeit des Autobaus die abgedunkelte Garage im An­gesicht hämisch grinsender, neugieriger Nachbarn zu verlassen – die in Wahrheit auch davon ge­träumt hatten, irgendwann in diesem Leben einen PKW zu einem solchen Preis zu ergattern.

Nicht weit nach Hohenegg gibt es eine Stelle, die ich schon seit frühester Kindheit liebe, als ich einmal pro Woche mit meiner Mutter nach Graz gefahren war. Eine schmale Talsenke, ein Fleckerlteppich in Reinkultur, jedoch auch kerzengerade, sodass man bei freier Fahrt einen spontanen Stoßdämpfertest veranstalten konnte. Oder aber ein klassisches Überholmanöver nach dem Motto: Alle drei, und ich bin frei!

Vor der letzten Kurve schickte ich ein Stoßgebet um Null Gegenverkehr zum Himmel; wenn auch nur irgendwo ein Fünkchen Gerechtigkeit existierte, würde es so sein, gerade nach der Os­ternacht. Meine rechte Hand wanderte bereits nach unten, auf der Suche nach dem Schalthebel, welcher meine Automatik in einem Wimpernschlag von Economy (weniger Spritverbrauch, aber auch ein wenig lasch) auf Sport (ich sage nur: Kickdown-Effekt!) trimmen würde. Nur noch die Kurve, und dann ... erkannte das Auge zuerst, dass die Suche nach Gerechtigkeit schleunigst in der Kiste vergeb­licher  Ideale eingemottet werden sollte, im hintersten Winkel des Dachbodens. Als ich die Talsenke erblickte, diese Miniaturausgabe aller Formel-I-Strecken meiner Kindheit (deren Reiz sogar meine Mutter nicht immer widerstanden hatte), war sie zwar frei von Gegenverkehr, doch sie erwartete mich nicht mehr jungfräulich wie bei meinen früheren Besuchen, sondern war schmählich modernisiert worden. Eine Dreierkombination traf mich wie ein Faustschlag und gab mir den Rest: Überholverbot, Tempolimit, Verkehrsinsel. Die bauliche Veränderung war beson­ders schmerzlich, denn über die beiden anderen wäre ich ja noch in der Outlaw-Manier eines Clint     Eastwood hinweggegangen, aber eine Verkehrsinsel zu ignorieren, hätte mit Sicherheit unüberhörbaren Protest der Radaufhängung bedeutet, und möglicherweise nicht nur das.

Meine Rechte erschlaffte, und ein Kilometer langer Seufzer entrang sich meiner gequälten Autofahrer-Seele. Die Konsequenz war bitter: Weiteres Hinterher-Zuckeln, zwar nicht bis ans Ende aller Tage, aber doch mindestens bis zur Auffahrt Laßnitzhöhe – den Plan, autobahnfrei nach Graz zu gelangen, hatte ich längst aufgegeben.

(Aus „Der Kernölbotschafter – Satirische Miniaturen“, Weishaupt Verlag, Gnas 2006)

Erkenntnis des Tages: Das eigene Auto hat mein Leben völlig verändert – mit einem Schlag war nahezu unbegrenzte Mobilität möglich. Leben in Salzburg, meine vielen Reisen – nichts davon hätte ohne das Lenken eines KFZ stattgefunden. Wer den absurden Behördenkampf nachlesen möchte, den ich zur Erlangung des Führerscheins ausfechten musste, sei an meine Autobiografie verwiesen.

Dialog des Tages: „Sie nehmen doch den Lift nach unten, Herr Glanz?“ – „Ich falle auch nicht über die Treppe, keine Sorge.“ – „Nehmen Sie trotzdem den Lift!“ (Die Krankenschwester in der Grazer Klinik, wo ich Vater zwecks eines kleinen Eingriffs abgeliefert hatte, wollte unter allen Umständen vermeiden, auch mich als Patienten aufnehmen zu müssen.)

Song des Tages: Zu nah am Feuer (Auch Freund Martin Kosch atmet gerne die Gefahr. Deshalb wird er nach einer gelungenen Version des Peter-Cornelius-Hadern Segel im Wind bald diesen Hit von Alice & Stefan Waggershausen mit Gitarrenbegleitung einüben.)
https://www.youtube.com/watch?v=4B3uo8Izpsc

Feder

 

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