16. Mai 2020: „Hauptsoch’ Kaffeehaus!“
(Ort: Das Café Pace am Hauptplatz zu Fehring in der Südoststeiermark)
(Ein Mann Ende 40 – das Alter sieht man ihm überhaupt nicht an – betritt das Kaffeehaus, das um 9 Uhr noch spärlich besucht ist. Er setzt sich zu einem schon anwesenden Gast, der soeben einen mit Milchschaum beladenen Keks in den Mund steckt und beim Kauen genießerisch die Augen schließt. Dann löffelt er den übrigen Schaum aus der Tasse und seufzt zufrieden.)
Hey, KB! Es überrascht mich kaum, dass du mit dem Bestellen nicht auf mich wartest. Wie ich sehe, mundet dir der Cappuccino.
Das tut er außerordentlich, mein lieber HG. Mich meinerseits wundert es nicht, dass du wieder einmal zu spät dran bist.
Wie kommst du drauf? Ich war Punkt 9 da.
„Fünf Minuten vor der Zeit ist die wahre Pünktlichkeit!“
Untersteh’ dich, mir die Weisheiten meiner Mutter um die Ohren zu hauen! Das hat sie zur Genüge getan, als ich klein war. Willst du ihren Lieblingsspruch hören, mit dem sie mich immer aufgeweckt hat, wenn in der Nacht Schnee gefallen ist?
Im Mai verzichte ich darauf, danke ergebenst. Willst du nicht endlich bestellen?
(Cafetier Michi, seinem Lächeln nach zu schließen gleich froh wie seine Gäste, dass wieder offen ist, tritt mit einer Begrüßung an den Tisch.)
Bin ich froh, dich zu sehen! Ein Fitness-Frühstück, bitte. Und auch einen Cappuccino, wie der Herr gegenüber, der heute die Rechnung zahlt.
Wie kommst du auf die Idee, HG? Bist du von allen guten Kernölgeistern verlassen?
Überhaupt nicht. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich sogar zwei Frühstücke gut.
Jetzt bist du endgültig wo ang’rennt! War dir die Straße von Feldbach nach Fehring nicht gerade genug? Oder hast du wieder einmal den hiesigen Hauptplatz in falscher Richtung umrundet und hast dich stirnrunzelnd gefragt, wo der ganze Gegenverkehr herkommt?
Kein Grund, dich so aufzupudeln. Schau, lieber KB, wir hatten eine Vereinbarung, was deinen Urlaub betrifft. Aber du hast den eh schon sehr großzügig bemessenen Zapfenstreich noch einmal um zwei Tage überzogen. Das macht zwei Frühstücke, capisci?
(Die Tür geht auf, drei ältere Herren poltern herein und setzen sich an den Nebentisch. Einer hebt den fleischigen Arm und ruft Michi zu: „Drei weiße Mischer, mei Freind!“ Dann plappern sie los wie italienische Nachbarinnen, die sich zwei Monate lang nicht gesehen haben. Vielleicht stimmt es.)
Okay, lieber Johnny Krummsäbel, du Mafia-Schriftführer ohne Fans. Ich kann meine längere Abwesenheit nicht leugnen. Aber ich kann sie begründen!
Womit?
Mit Recherche.
Ich bin ganz Ohr.
Hurch zua. Anfang der Woche bin ich alle unsere Lieblingsbeisl abgefahren und habe …-
Beim Putzen geholfen?
Das ignoriere ich nicht einmal, HG. Ich habe die Wirte zu ihren Erwartungen befragt. Und weißt du was? Nicht nur ihre Antworten haben meine Vorfreude auf den Neustart gesteigert.
Sondern?
Die meisten haben die Zeit genutzt, um ihre Lokale auf Vordermann zu bringen, aber sowas von! Und das Allerbeste: Viele haben auch ihre Raucherabtrennungen entfernt, das macht alles heller, freundlicher! Im Castello bist du dir ja echt vorgekommen wie im Klokammerl, so knapp war es da.
Und mit deinem Charme hast du sicher den einen oder anderen Drink abgestaubt, nehme ich an?
Naja, zwei oder drei. Mit meinem Charme, um den du mich zurecht beneidest, hatte das aber nichts zu tun. Ich habe leise angedeutet, dass wir heute im Tagebuch ein bisschen Werbung machen.
Du hast wegen ein paar Cocktails unseren seriösen Blog für Schleichwerbung verschachert? Ich fasse es nicht, KB! Ist dir klar, welcher Tag morgen ist?
Sonntag, wieso?
Nicht nur Sonntag! Morgen jährt sich der Ibiza-Skandal! Willst du, dass ein … was weiß ich … Vulkanland-Skandal dazukommt? Fehlt nur noch, dass du für die neue Wiener Vollkoffer-Partei von HC Strache das Personenkomitee organisierst!
Komm wieder runter, HG! Jetzt brauchst du dich nicht aufpudeln. Wir rauschen einfach durch die Locations und erzählen im Tagebuch, was wir so erleben. Die x-te Corona-Statistik und wer wann wo warum keine Maske getragen hat – das steht den Leuten eh schon bis über den NMS!
(Michi tritt mit zwei vollbeladenen Tellern, einem Brotkorb und einem Joghurt mit Früchten an den Tisch. das Gespräch der Protagonisten verstummt. Dafür wird es am Nebentisch wieder laut, denn auch dort gibt es einen Nachzügler. Er lässt einen Spruch vom Stapel, der als Klassiker in die Corona-Geschichte eingehen wird: „Wo sull i mi hinsetz’n? Scheißegal! Hauptsoch’, Kaffeehaus!“)
Und da hast du schon deinen Titel!
Schluck erst, bevor du redest, KB! Aber … ja, das klingt gut. Die Leute sind wirklich dankbar und froh, dass sie wieder fortgehen können. Die soziale Funktion von Gaststätten wird oft unterschätzt.
Meine Rede. Also abgemacht: Wir erzählen von der „glorreichen Auferstehung der österreichischen Wirtshauskultur und heimsen jede Menge Komplimente dafür ein!“
Also doch Strache, oder wo kommt der Pathos her? Wir haben es nicht nötig, unser Tagebuch mit heißer Luft aufzublasen. Wie wäre es mit „HG und der KB on Tour“?
„Der KB“ vorne, schließlich war es meine Idee.
Mein Gott, bist du pedantisch! Meinetwegen, wenn es dich glücklicher macht. Und jetzt iss z’samm, wir haben noch eine intensive Runde vor uns!
Das ist wieder typisch für dich, HG! Erst zu spät kommen, dann Stress machen!
„Sei vorsichtig mit deinen Wünschen – sie könnten in Erfüllung gehen.“ Siehst du, KB, auch ich kann zitieren. Und du hörst jetzt auf zu sudern, schließlich war es deine Idee.
Michi, zahlen!
Erkenntnis des Tages: Die tatsächliche Tour war überhaupt nicht stressig. Freitag: Castello, zu Lisa und dem besten Cappuccino in town. Samstag: Fein frühstücken bei Michi im Pace. Überall wurden wir herzlich willkommen geheißen, bestens bewirtet und haben uns wohlgefühlt. Sonntag …
Zitat des Tages: „Wo sull i mi hinsetz’n? Scheißegal! Hauptsoch’, Kaffeehaus!“ (Ich wiederhole es gerne, mit Dank an den anonymen Spender.)
Song des Tages: Milk And Toast And Honey (Die viel zu früh verstorbene Marie Fredriksson singt von den Köstlichkeiten, die zu jedem ordentlichen Frühstück gehören.)
https://www.youtube.com/watch?v=nxWyAtA7-OY
