Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

15. Mai 2020: Zwischen tiefer Angst und großer Hoffnung

Chat-Interview mit Ursula, Bozen, Italien, geführt am 15.5.

Hallo Ursula! Wie geht es dir?

Hallo Hannes, danke, gut!

Erzähl bitte kurz, wo du lebst, und was du beruflich machst.

Ich lebe seit meiner Geburt, also seit 55 Jahren, in Südtirol. Ich bin in der Immobilienbranche tätig, d. h. ich verwalte Immobilien aller Arten: Büros, Geschäfte und Wohnungen. Und zwar sowohl in buchhalterischen als auch in juridischen Belangen.

Deine Heimat ist also Italien, jenes Land, das als erstes und am schwersten in Europa von der Corona-Krise betroffen war. Was löst der Gedanke an die Pandemie in dir aus?

Also erstmal das Gefühl von Unwirklichkeit. Wenn ich mir die Menschen in meiner Stadt heute zum Beispiel ansehe, an einem Samstag Morgen; die vielleicht einen Aperitif trinken, aber dann wieder die Mundmasken überziehen; die versuchen, wieder in das gewohnte und normale Leben zurückzukehren; mit der Gewissheit, dass es aber nicht mehr so sein wird wie "davor".

Wie war es am Anfang, als sich abgezeichnet hat, es würde in deinem Land wirklich schlimm werden?

Tiefe Angst, Verwirrung. Dann galt es, für mich selbst gesprochen, Prioritäten zu setzen: Versuchen gesund zu bleiben, nur nicht ins Krankenhaus zu müssen, mich und meine Mitmenschen nicht anzustecken (auch nicht unbewusst).

Mit wie vielen Menschen arbeitest du direkt zusammen?

Ich habe eine Mitarbeiterin, Anni, die als Teilzeitkraft im Büro hilft. Ansonsten arbeite ich mit Handwerken zusammen, wenn es gilt, ordentliche Instandhaltungen durchzuführen. Außerdem mit Beratern, d. h. Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwalt, mit anderen Immobilienverwaltern etc.

Welche Sicherheitsmaßnahmen hast du für den beruflichen Bereich ergriffen?

Als die Pandemie ausbrach, akut am 12. März, erstmal das Büro geschlossen, nachdem wir uns darauf vorbereitet hatten, sämtliche für die nächsten 2 Wochen notwendigen Dokumente und Unterlagen fürs Weiterarbeiten im Home Working mit nach Hause zu nehmen, samt PC und Drucker. Dann bin ich als Geschäftsführerin einmal die Woche ins Büro gegangen, habe alles geputzt und desinfiziert, weitere Ordner und Dokumente ausgetauscht und mitgenommen (anfangs durften nur die Geschäftsführer kurz an die Arbeitsstellen). Seit ein paar Wochen gehe ich jeden Morgen vor meiner Mitarbeiterin ins Büro, desinfiziere ihr Büro, dann meines. Dann kommt sie, und wir beginnen den Arbeitstag. In der Mittagspause wird nochmals alles desinfiziert – hauptsächlich gemeinsam benutzte Geräte wie Fotokopierer und Fax. Erst seit einer Woche empfangen wir wieder Kunden, mit Mundschutz und Handschuhen, selbstverständlich auf Distanz. Sie müssen sich bei Eintreten ins Büro die Hände desinfizieren.

Also sehr aufwendig. Gibt diese Vorsicht wirkliche Sicherheit, oder bleibt ein Rest Zweifel?

Ein Rest Zweifel bleibt, glaub ich, aber ich bin zuversichtlich, alles Mögliche getan zu haben.

Gab es auch Veränderungen in deinem privaten Bereich, die nur der Pandemie geschuldet sind?

Ja, klar, die menschlichen Kontakte sind und waren eine Zeitlang nur telefonisch oder über PC möglich. Jetzt sind wir auch noch vorsichtig, besonders wenn es im eigenen Freundeskreis Eltern in einem Risikoalter gibt oder mit Vorerkrankungen. Dann gilt die Regel: Wir treffen uns nur am Balkon , im Freien oder eben leider gar nicht, wenigstens noch ein Weilchen ...

Kommen wir vom Privaten, Persönlichen ins Öffentliche: Warum wurde Italien von der Pandemie besonders hart getroffen?

Schwer zu sagen. Ich vermute, weil wir zu der Zeit sehr viel Tourismus hatten, besonders auch hier in Südtirol. Vielleicht wurde zu spät erkannt, dass Menschenansammlungen z.B. an den Skipisten etc. gefährlich waren. Außerdem pflegt der Italiener einen engen familiären und freundschaftlichen  Kontakt. Grad im Süden ist es, nicht selten, dass eine ganze Großfamilie unter einem Dach zusammenlebt. Aber, wie gesagt, das ist meinen persönlichen Vermutung.

Welche besonderen negativen Auswirkungen hat die Krise auf dein Heimatland?

Ich denke, dass sich die Auswirkungen erst wirklich mit der Zeit, in einigen Monaten, offenbaren werden. In Südtirol ist sicher die Tourismusbranche schwer davon betroffen, eine wichtige Einnahmequelle für das Land. Noch dazu sah es bis gestern so aus, als dürfe man die Grenzen zu den anderen Ländern nicht öffnen. Heute kam dann die gute Nachricht, dass mit 3. Juni alle Grenzen geöffnet werden. Ob und wie die Tourismusbranche die wohl strengen Sicherheitsvorgaben umsetzten kann, werden wir sehen. Noch dazu bleibt die Frage, ob dann wirklich Touristen zu uns kommen.

Wird es über die Wirtschaft hinaus dauerhaft Negatives geben? Anders gefragt: Welche Probleme werden bleiben?

Ich denke, Probleme wie in anderen Ländern, die von dieser Pandemie heimgesucht wurden: Die Suche nach dem geeigneten Impfstoff, oder wenigstens nach Medikamenten, die diesen Virus schwächen und bekämpfen können. Die nötigen finanziellen Mittel gilt es aufzutreiben.

Welche positiven Auswirkungen könnte Señora Corona haben, auf Italien und weltweit?

Dass Menschen der Natur und Umwelt den richtigen Stellenwert geben; dass Menschen mehr für einander da sein sollten; mehr Zusammenhalt , mehr Glaube; mehr Bewusstsein, dass wir nur ein kleiner Teil des Universums sind, und uns nicht immer so wichtig nehmen sollten … Und dass jeder auch noch so kleine, aber schönen Moment in unserem Leben festgehalten,  bewusst gelebt und genossen werden soll, weil man nie weiß, ob es einen solchen nochmals gibt …

Sehr schön. Zum Abschluss: Was wirst du als erstes tun, wenn die Pandemie vorbei ist und du alle Freiheiten zurückbekommen hast?

Mich einmal mit alten Freunden treffen, einmal alle fest umarmen und küssen, zusammen Ausflüge unternehmen, lachen, sich des Lebens und der wiedergewonnen Freiheit erfreuen etc. Aber auch (neue) Menschen treffen und kennenlernen, die ich bis Corona nicht kannte, die aber in der Nachbarschaft leben. Und die manchmal, in den letzten zwei Monaten, aus einem Fenster oder von Balkon zu Balkon winkten. Vielleicht sind sie ganz allein ...

Und dann sind sie nicht mehr allein. Ich danke dir für dieses schöne Schlusswort und das ganze Interview!

Ich danke dir!

 Erkenntnis des Tages: Menschen wie Ursula sind in dieser Zeit selten anzutreffen. Geerdet, was die wirtschaftlichen Notwendigkeiten betrifft – und doch behält sie einen offenen Blick für das wirklich Notwendige: Wie wir einander und unseren Lebensraum behandeln, wird über die menschliche Zukunft entscheiden.

Zitat des Tages: „Nur weil heute die Kaffeehäuser aufmachen, muss ich nicht der Erste sein, der hinrennt.“ (Ein Freund hält nicht viel vom Herdentrieb und lässt seine Frau allein auf einen Cappuccino gehen.)

Song des Tages: È Una Notte In Italia (Im Land der Cantautori gibt es viele schön-traurige Lieder über das Belpaese. Ich habe mich für Ivano Fossati entschieden, dessen Italienische Nacht für mich eine besondere Erinnerung trägt.)
https://www.youtube.com/watch?v=11GgxS0pYrs

Feder

 

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