Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

12. Mai 2020: Señora Corona im Spiegel

Noch drei Tage. In Cafés werden Tische geputzt, Sitzpläne erstellt, Abstände gemessen. Das Leben außerhalb unseres privaten Bereichs erwacht langsam wieder aus dem Corona-Schlaf, der für viele mehr Stress, für andere bislang unbekannte Ängste, für wieder andere über das gewohnte Maß frei verfügbare Zeit gebracht hat. Ein Großteil der Menschen steht nun vor der Tür, die ihre Rückkehr in das alte, bekannte, gewohnte Leben bedeutet. Vielleicht mit Maske in der Öffentlichkeit, aber in den Herzen bebt die Hoffnung, dies möge die einzige gravierende Veränderung zu früher sein.

Halten wir vor dieser Tür ein paar Minuten inne. Nicht um das Vergangene zu überdenken; und schon gar nicht, was davon richtig und was falsch gelaufen ist. Jene immense Herausforderung, die wir in unserem Land gut gemeistert haben, bleibt bestehen – und keiner weiß, wie lange.

Richten wir stattdessen unseren Blick in die Zukunft, genauer, in die Zukunft unseres kleinen, im Weltzusammenhang vollkommen unbedeutenden Seins. Der vom Schicksal erzwungene Stillstand gibt uns die vielleicht einmalige Gelegenheit, über zwei Fragen nachzudenken, die für die Richtung dieses Lebens nach Durchschreiten der Tür von entscheidender Bedeutung sein können. Wer bin ich? Und was will ich?

Vom Sinn des Lebens

Ich bin da.  Mit diesen drei Worten lässt sich der Grundstein auf der Suche nach dem Sinn des Lebens beschreiben. So gering dieser Satz auch scheinen mag, er umfasst das gesamte Gebiet des Mensch-Seins, bestehend aus der ewigen Dreieinigkeit von Körper, Geist und Seele.

Wir leben in der Epoche des Individuums. Dies bedeutet nicht zwangsweise das Ende kollektiver Gemeinschaften, jedoch muss am Beginn die Entwicklung des eigenen Bewusstseins stehen. Dies ist der erste, der entscheidende Schritt. Nur mit der klaren Anerkennung der persönlichen Existenz kann die Suche nach dem Sinn geradlinig und und ohne die vielen täuschenden Seitwärtsbewegungen ihren Anfang nehmen.

Der Blick in den Spiegel. Es mag banal klingen, aber alles Komplizierte trägt das Einfache in sich und umgekehrt. Das Gesicht eines Menschen kann offen und klar sein, alle Geschichten von Glück und Bitterkeit in sich tragen, es kann Einladungen ohne ein Wort aussprechen und eine Liebeserklärung mit den Augen verstrahlen. Zu gleicher Zeit hat es aber die Fähigkeit, eine undurchdringliche Mauer zu errichten, abweisend vor Kälte und gefühlter Entfernung, wie nah der Körper eines anderen Menschen auch sein mag. Die Seele spiegelt sich darin wie der körperliche Zustand, das Erbe der Eltern wie die in tiefer Ehrlichkeit gehegten Träume und Visionen der eigenen Zukunft.

Wenn ich zu Zeiten bewusst in den Spiegel schaue, bekomme ich im nächsten Augenblick eine Antwort, ohne die dazugehörige Frage gedacht zu haben. Sie kann Ja und Nein lauten, entsprechend dem gemalten Bild meiner Seele. Und die Frage lautet: Ist der Mensch, der da vor mir steht, auch jener, den ich sehen will?

Es ist wie bei einem Portrait, das man selbst als sehr gelungen empfindet. Dann sagt man: So bin ich. Ein Ziel auf der Suche nach dem Sinn muss daher wohl lauten, diesen Satz immer und immer von neuem auf lebebendigen Bildern der Gegenwart wiederzufinden. In Momenten, wo man sich im wahrsten Sinne des Wortes spiegelt.

Ich bin da, und so bin ich.

Die Zeit erkennen. Jene Leichtfertigkeit, mit der die Menschen von der Zeit reden, stammt wahrscheinlich aus der faktischen Unfassbarkeit der bedeutendsten Größe unseres Seins. Man kann die Zeit messen, in winzig kleine Teile aufspalten, sie einteilen, und doch bleibt sie – allein für sich genommen – wertlos und unverstanden. Vielleicht deshalb, weil viele Mensch nur in den Begriffen Anfang und Ende denken, die Zeit selbst sich jedoch als Ewigkeit begreift.

Manche geben dem Anfang die größere Bedeutung, andere wiederum dem Ende. Ich meine dagegen, dass der eigentliche Wert der Zeit darin liegt, auf welche Art man den Raum zwischen diesen beiden Polen ausfüllt und zu nutzen weiß.

Es gibt heute so viele Möglichkeiten, die Stunden, Tage und Jahre zu verbringen, wie niemals zuvor. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen haben in den letzten Jahrzehnten eine bis dato ungekannte Freiheit geschaffen. Die Formen finanziellen Erfolges vervielfachen sich nahezu täglich, und die weltumspannende Erreichbarkeit befreit vom alten Zwang, sich an einen bestimmten Ort binden zu müssen.

In gleichem Maße wie die Freiheit sollte jedoch die menschliche Verantwortung wachsen, damit umzugehen. Mit der Erkenntnis, dass fixe Trennungen – Freizeit und Berufsausübung, Wohnort und Arbeitsplatz – verschwinden werden, muss auch der Umgang mit der persönlichen Zeit um vieles bewusster erfolgen. Dies heißt nicht, jede Minute eines Tages genau zu planen. Es bedeutet vielmehr, sich für eine Tätigkeit konkret zu entscheiden und diese danach mit voller Konzentration und Konsequenz auszuführen. Das Lebensbild besteht aus zahllosen Puzzleteilen, doch nur gemeinsam ergeben sie ein Ganzes. Wenn man jedem Teil Aufmerksamkeit zukommen lässt, gelingt das Bild. Erst die richtigen Abgrenzungen schaffen jene Passformen die dann ineinander greifen wie die Rädchen einer Präzisionsuhr.

Ich bin da, so bin ich, und das tue ich.

Ins Licht finden. Die Leistungsgesellschaft stellt nicht nur Anforderungen, sie definiert auch Ziele. Oft hat es den Anschein, Menschen verfolgen diese Vorgaben anderer ohne zu wissen, ob sie das überhaupt wollen. Als Beispiel möge das Konsum-Ziel dienen. Dieses hat unabdingbare Vorteile: Es ist einfach, bequem, und durch mehr Besitz erhöht sich auch der vordergründige soziale Status.

Eigene, aus persönlichen Wünschen, Träumen und Visionen definierte Ziele sind der Endpunkt auf der Suche nach dem Sinn des Lebens – und gleichzeitig ein neuer Anfang. Sie fassen alle vorgenannten Merkmale menschlicher Existenz zusammen und fordern trotzdem auf, immer weiter zu forschen, zu entdecken. Mit jedem Ziel finde ich mehr; in meinem Spiegelbild, meiner Zeit. Und immer intensiver wird so das Licht, auf das ich mich zubewege. In gleichem Maße strahlt es sohin aus meinem Inneren.

Ich bin da, so bin ich, das tue ich, und ich finde mein Licht. Im Einklang mit mir selbst, dem Leben und der Zeit.

Erkenntnis des Tages: Quizfrage: In welchem Jahr habe ich diesen Text geschrieben? Sie kommen nicht drauf – ich konnte es selbst kaum glauben, als ich die Zahl las: 2000. Wer immer nur läuft, hat keine Gelegenheit darauf zu achten, was sich um ihn herum verändert hat. Señora Corona kann – falls gesundheitlich, seelisch und wirtschaftlich überstanden – ein Geschenk und eine große Chance sein. Hinter dem Zimmer des Stillstands liegt unser altes Leben. Oder eine ganz neue Welt.

Zitat des Tages: „Kennst du das Walhalla-Bier aus Pertlstein?“ (Freund Matthäus Trummer spürt wie ich den Genüssen unserer Region nach. Gemeinsam haben wir eine Flasche Black IPA geköpft. Bei 7% und dem herben Kaffee-Aroma kam unser begeistertes Grinsen ganz von selbst.)

Song des Tages: If I Was (Das von mir getextete Lied wurde am Abend beim auf YouTube live übertragenen Konzert der Grazer Band Coinflip Cutie tatsächlich uraufgeführt. Von Bandleader Tom Reiterer als „schneller Irish Waltz“ eindrucksvoll vertont, startet der Song im Video ca. bei Minute 26. Aber auch der Rest kann sich hören lassen!)
https://www.youtube.com/watch?v=flnB8CyKEGY&t=1918s

 

Feder

 

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