Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Die Grazer Band "Coinflip Cutie" bei ihrem Konzert im TOP-Zentrum Feldbach

11. Mai 2020: Musik ist (II)

Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle erzählt, wie ich den Grazer  Pianisten und Freund Oliver Majstorovic kennenlernen durfte. Irgendwie scheint mir, dass künstlerische Seelen einander anziehen wie Magneten – gut ein Jahr ist es her, dass mir etwas Ähnliches wieder passierte. Und doch war es ganz anders.

Das Familienunternehmen, von meinem Vater aufgebaut und mir vor vier Jahren vertrauensvoll überlassen, stand vor seinem 30jährigen Jubiläum. Zu anderen runden Geburtstagen hatte es keine Feier gegeben, sohin planten wir diesmal ein großes Fest. Selbstredend sollte dabei eine Band für den passenden Sound sorgen.

Unglücklicherweise bin ich ein komplettes Nackerpatzerl (das Wort borge ich mir ganz frech vom KB aus!), was das Organisieren von Kulturevents betrifft – mit einer Ausnahme: Wenn ich selbst das Event bin, ziehe ich alle Register. Aber die Bedürfnisse, Kosten, Erwartungen anderer Künstlerinnen und Künstler waren mir bislang völlig fremd. Ich ging die Sache ähnlich an wie jedes Projekt, von dem ich überzeugt bin: mit Fragen, Zuhören und wieder Fragen.

So saß ich eines Abends am Pokertisch des später von den Monopolisten unseres staatlich gelenkten Glücksspiels ruinierten Grazer Kartenklubs und fragte in die Runde, ob jemand eine feine Combo für einen Regionalmarkt mit Festatmosphäre im kleinen Feldbach kannte. Ein Spieler zu meiner Linken hob die Hand und sagte: „Ich bin Berufsmusiker. Wir sind dabei, wenn die Kohle stimmt.“

Er nannte mir einen geschmalzenen Preis (um der Wahrheit die Ehre zu geben: absurd exorbitant trifft es eher), doch als erfahrenes Pokerface zuckte ich weder mit der rechten Wimper noch mit der linken kleinen Zehe. Der Pokerant, sympathisch und immer gut drauf, schob mir eine Visitenkarte über den grün bespannten Tisch. „Schau einmal auf unsere Seite, dann reden wir weiter.“

Selbiges tat ich am nächsten Tag. Nach wenigen Sekunden des ersten Clips empfand ich eine Mischung aus Neid und Bewunderung. Letzteres, weil mir nie im Leben klar sein wird, wie man erwachsene, mit Verstand und Geschmack begabte Menschen dazu bringt, für diese Humpta-humpta-holladriö-Dudelei auch nur einen Cent Eintritt zu bezahlen. Das verstehe ich auch bei Andreas Gabalier nicht, aber wahrscheinlich greift dafür mein musikalischer Horizont zu kurz. Der Neid kriecht in mein Selbstverständnis von Kunst, weil ich mir bei jeder einzelnen Zeile eines Gedichtes vermutlich intensivere Gedanken mache als Autoren volkstümlicher Schlager bei einem ganzen Song. Aber bevor ihr einen Shitstorm gegen mich lostretet, liebe Schlagerstars, gebe ich gerne zu, dass wohl auch ich solche Texte schreiben würde, wenn ich es könnte. Aber ich kann es eben nicht. Des Musikers angepriesene Truppe war vom Pokertisch und auch von jedem anderen.

Zu meiner Rechten saß am gleichen Abend ein gemütlicher, leicht rundlicher Typ mit stabiler Brille und kurios anmutendem Hut auf dem Kopf, der ihm eine halbe Nummer zu klein war. Ich kannte ihn nur als Tom und mochte seine ruhige Art, die nur verrutschte, wenn er beim Spielen die Geduld verlor und zum Zocker wurde.

„Ich mache auch Musik.“ Seine Stimme klang leise, fast schüchtern.

„Welche Richtung?“, fragte ich zurück.

„Akustischer Indie-Rock.“

Sofort fühlte ich mich als Banause, weil mir das nichts sagte. Tom grinste in mein betretenes Schweigen hinein und beendete die Peinlichkeit, indem er nur fortsetzte: „Heute bin ich mit dem falschen Auto da, aber beim nächsten Mal bringe ich dir eine CD mit.“

So war es dann auch. Als Second Chance von Toms Band Coinflip Cutie zum ersten Mal bei mir zuhause lief, kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Feinster Gitarrenrock, akkurat gespielt, mit eingängigen Melodien, die Lust auf mehr machten. Toms Stimme in hoher Lage, markant und so wohltuend fern vom Einheitsbrei, der auf diversen Hitwellen meine Lauscher beleidigt, wenn ich nicht schnell genug umschalte, mochte ich von der ersten Strophe an. Er spielt selbst Gitarre, ohne dass sie zur Klampfe verkommt, und wird von einer Dame am Keyboard sowie zwei Herren am Bass und an den Drums begleitet. Es passte alles vom ersten Takt an, und ich wusste sofort, diese formidable Combo würde im Mai 2019 ihre Premiere in Feldbach feiern. Bei unserem Fest gab sie ein kleines, feines Parkplatzkonzert, das nur aufgrund des knapp zuvor einsetzenden Regens weniger Zuhörer hatte, als sich Sänger und Bandkollegen gewünscht und verdient gehabt hätten.

Zehn Monate später kam Señora Corona. Tom begegnete ihr – davon habe ich an dieser Stelle schon kurz erzählt – wie viele künstlerisch beseelte Menschen. Er jammerte nicht über abgesagte Gigs, sondern stellte sich täglich in den kleinen Hinterhof seines Grazer Wohnblocks, wo er solo einen seiner Songs zum Besten gab. Als ihm die eigenen Stücke ausgingen, bot er tolle Coverversionen dar. Tom hielt seine Begeisterung hoch und sein Gitarrenspiel (zumindest für meine Ohren) nahezu fehlerfrei – fünfzig Abende lang, ohne Unterbrechung.

Vor einiger Zeit schickte ich ihm englische Songtexte, die ich über die Jahre verfasst hatte. Ich vermute stark, dass auch hier die Señora dafür verantwortlich zu machen ist, wie rasch Tom eine dieser Lyrics vertonte. Gestern schickte er mir ein Demo. Das Gefühl, wenn jemand aus deiner eigenen Kunst etwas anderes entwickelt, sie erweitert, veredelt, in eine andere Form bringt, ist unvergleichlich schön. Ich war geflasht, wie es so grässlich auf Neudeutsch heißt – noch mehr, als er ankündigte, das neue Lied in Kürze bei einem im Internet übertragenen Konzert als Premiere vorzustellen. Vielen Dank, Tom! Ich bin geehrt und tief berührt. Freude im Herzen – das mag wie aus einem kitschigen Heimatfilm klingen, drückt aber am Schönsten aus, was ich empfinde.

Erkenntnis des Tages: Künstlerische Freundschaften sind etwas Besonderes. Ich schätze es sehr, viele Kulturschaffende zu meinen Freunden zählen und mit ihnen arbeiten zu dürfen. Ich habe sie kürzlich „Partners in Crime“ getauft; Karola, Martin, Tom und wie ihr noch alle heißt: Bitte nehmt das als Kompliment!

Zitat des Tages: „Die saure Extrawurst hättest du dir auch selbst zubereiten können!“ (Meine Mutter hat natürlich recht; aber in der kurzen Pause zwischen zwei Tagebuchseiten geht sich das einfach nicht aus. Als ich die Küche betrat, stand das Abendessen schon auf dem Tisch – Mama ist immer noch die Allerbeste!)

Song des Tages: The Driver (Zu der von mir getexteten Nummer If I Was gibt es noch kein Video. Mein absoluter Favorit von Coinflip Cutie ist aber ein durchaus würdiger Ersatz.)
https://www.youtube.com/watch?v=cIpLPwf_tQk

Feder

 

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