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EM–Blog X: Pecunia non olet (10.7.2021)

Hin und wieder passiert es dem geneigten Fußballfan trotz bester Vorbereitung (Murauer Bier eingekühlt, Pringles und M&Ms in Jahresvorratsmenge auf Armeslänge bereitgestellt, Fahne des liebsten Teams um die Schultern gelegt, Schal des zweitliebsten Teams um den Hals gewickelt), dass er eine nicht unbedingt sehenswerte Partie erwischt. Da es klarerweise wenig Sinn macht, die oben erwähnte Vorbereitung verfrüht wegzuräumen – während der Vorrunde fanden ohnehin bis zu vier Spiele täglich statt –, lenkt der Fan seine Aufmerksamkeit weg vom Geschehen auf dem Rasen, hin zu nicht weniger interessanten Dingen rundherum.

So erging es mir bei der Partie Kroatien gegen Tschechien, einem grottenschlechten Kick. Bisweilen bewegte sich die Schrift auf den elektronischen Werbebanden schneller als die Spieler auf dem Feld. Die künstlichen Konsumkuriere kamen ihrer Aufgabe zudem deutlich effizienter nach als die 22 (in diesem Fall) überbezahlten Berufssportler, was meine Augen alsbald einen interessanten Blicksprung-Wettkampf veranstalten ließ: Querpass misslungen – Qatar Airways – Abstoß verhaut – Alipay – Torchance vergeben – TikTok – Ball verstolpert – Booking.com – Ferse in die gegnerische Kniekehle versenkt – FedEx – cholerische Trainer beruhigt – Coca Cola – hoffnungslose Überforderung auf allen Seiten – Hisense TV – Verschwendung von zwei Stunden bejammert – Volkswagen.

Jetzt mögen manche von Ihnen meinen, schlechter als diese Wortspiele kann das Match auch nicht gewesen sein. Das kann durchaus stimmen, doch ich möchte Sie auf eine andere Fährte locken. Das derzeit laufende, von uns allen verfolgte, geliebte und auch gehasste Event (Achtung: schon wieder Neudeutsch-Alarm!) nennt sich Fußball-Europameisterschaft. Na, klingelt's?

Man muss sich das echt auf dem Züngerl zergehen lassen: Da bejammern Politiker und -innen aller Couleur quer über den Kontinent die wirtschaftliche Schwäche Europas und dass wir alle miteinander Gefahr laufen, zwischen den großen Blöcken Asien und Nordamerika zerrieben zu werden. Wenn sich jedoch die perfekte Möglichkeit auftut, die eigene, durchaus vorhandene Power weltweit ins gleißende Licht der Medienöffentlichkeit zu wuchten, findet die UEFA einen einzigen europäischen Sponsor? An dieser Stelle passt wohl ein leicht abgewandeltes Sprichwort am besten: Wer zahlt, macht Werbung.

Während des gesamten Turniers hat sich die Union of European Football Associations als geldgeiler Krösus erwiesen, dem der eigene Profit über alles geht. Woher die werbenden Konzerne stammen, spielt keine Rolle – Hauptsache, der Rubel rollt. Aus dem exklusiven Kreis der Bandenwerber stechen zwei besonders heraus: Der chinesischen Kurzvideoplattform TikTok droht in Italien heftiges Ungemach, weil dort eine Zehnjährige nach einer auf diesem Netzwerk (hier das Wort sozial einzufügen hieße, die Pietätlosigkeit auf die Spitze zu treiben) verbreiteten Mutprobe verstorben ist. Und Hisense, ein ebenfalls aus dem Reich der Mitte stammender Produzent von Flachbildfernsehern, steht mit seinen Produkten eher auf einer Stufe mit Dacia als mit Porsche. Was soll damit vermittelt werden? Die Spiele sind toll – da macht es nichts, wenn die Bildqualität Mist ist … Der an gestochen scharf in Szene gesetzte Zweikämpfe gewöhnte Sofasportler hat da wohl einen etwas höheren Anspruch.

Warum Gier im Alten Testament mit aller Berechtigung zu den Todsünden gezählt wird, beweist ein weiteres Detail dieses paneuropäischen Turniers. So sehr man sich darüber freuen darf, Fußball wieder vor Zuschauern zu erleben: In Anbetracht einer Pandemie samt sich rasch ausbreitender Delta-Variante ist der Massenandrang in Budapest und London doch zumindest fragwürdig. Die UEFA hat strenge Kontrollen nach der 3G-Regel versprochen, andererseits aber Irland Spiele entzogen, weil die dortige Regierung eine Austragung vor Publikum nicht garantieren wollte. Mittlerweile wurde das Turnier zum von vielen Experten befürchteten Superspreader-Event: Mehrere tausend CovID-Infektionen sind auf Fans in Russland zurückzuführen. Aus Ungarn, wo es überhaupt keine Beschränkungen gab, wird man wohl nichts Genaues in dieser Sache erfahren; wie Ministerpräsident Viktor Orban zu Regenbogenfahnen und unabhängigen Medien steht, hat er oft genug kundgetan.

Nach dem Finale werden alle ein tolles Turnier bejubeln und die UEFA einen feinen Schnitt gemacht haben. Denn an der Weisheit, die schon bei den alten Römern galt, hat sich bis heute nichts geändert: Pecunia non olet – Geld stinkt nicht.

Zitat des Tages: „Morata verschießt seinen Elfer, hundertprozentig!“ Woher Martin Kosch, Freund und Kabarettist hohen Ranges, seine Gewissheit nahm, hat er mir nicht verraten. Genau so kam es im Semifinale Italien – Spanien; der Weg ins Finale für die Squadra Azzurra war geebnet.

 Song des Tages: Money von Pink Floyd. Über den Schmierstoff der Menschheit wurde viel geschrieben, gesungen und philosophiert. Der Song der britischen Kultband, veröffentlicht vor 48 Jahren auf ihrem Klassiker The Dark Side of The Moon, gehört zu den eindringlichsten Beispielen.
https://www.youtube.com/watch?v=-0kcet4aPpQ

Feder

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