Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Anhänger

 

9. Mai 2020: Wenn Heimwerker heimwerken

Über die langen Warteschlangen vor Baumärkten wurde bereits viel berichtet und gelacht. Medien berichten darüber, weil sie den Ansturm für ein Phänomen der Coronakrise halten. Vermutlich ein Irrtum:  Viele Menschen sind zuhause, sie haben die Gelegenheit und – im Idealfall – auch die Mittel, schon geplante Vorhaben umzusetzen. Die Kombination aus vorhandener Freizeit und langer Schließzeit der Geschäfte, noch gewürzt mit dem Wunsch, endlich wieder einmal raus zu kommen, hat OBI, Hornbach und Co. jenen großen Zulauf beschert; Señora Corona war sohin der Auslöser, jedoch nicht die Ursache. Gleiches passiert regelmäßig vor Ostern, Weihnachten und im Urlaub – ganz ohne Pandemie.

Wer hingegen darüber lacht, gehört wohl kaum zur verschworenen Gilde der Heimwerker. Mir genügt es zu wissen, wo ein Bild an die Wand gehört; ich bin froh, den Nagel dafür nicht selbst einschlagen zu müssen. Mit endlosen Reihen von extra stabilen und tiefergelegten Einkaufswagen kann ich, dieser Tatsache entsprechend, wenig anfangen. Das kuriose Bild gibt schon Anlass zu Heiterkeit, doch ich vermute, die meisten Leute hatten einen Grund, sich in die Schlage zu stellen.

Aber die angesprochene Gilde ist so groß, dass auch ich eines ihrer Mitglieder kenne. Wobei kennen die Untertreibung des Tages ist: Walter und ich sind seit der Volksschule in Feldbach miteinander befreundet, also nach Adam Riese (der in Wirklichkeit Adam Ries hieß – danke, Wikipedia!) seit über 40 Jahren. Er arbeitet für sein Leben gern im Freien, mit seinen Händen, mit Tieren. Und das schon zu einer Zeit, als er noch in der steirischen Landeshauptstadt Graz auf 60 m² wohnte. Von damals stammt auch die Geschichte, die mir Walter einst auf unnachahmliche Weise erzählte.

Echt viel Schotter

Bevor mein langjähriger Freund Walter an einen Ort zog, den man reinsten Gewissens als Pampa bezeichnen kann, und dort zum begeisterten Nebenerwerbsschafbauern wurde, lebte er in einer Grazer Mietwohnung. Schon als Städter suchte er nach einer Möglichkeit, seine Liebe zur Natur auszuleben und mietete sich sohin als Teilhaber in einer Kleingartensiedlung ein.

In seiner Anfangszeit als Kleingartensiedlungsgärtner werkte Walter fleißig und erfreute sich bald an der Aussicht auf erste Ernteerfolge, doch er war unzufrieden mit der Gesamtsituation, die rund um seine gemietete Scholle herrschte. Wenn es länger regnete, verschlammten die Wege zwischen den Beeten, und Walter hatte keine Lust, stets mit dreckigen Gummistiefeln nach Hause zu fahren. Seine damalige Freundin und jetzige Ehefrau Andrea wiederum brach beim Anblick selbigen Schuhwerks nicht gerade in Begeisterung aus.

Aber Walter sah schon immer hinter jedem Problem eine Lösung statt umgekehrt. Einfach ein bisschen Schotter auf die Wege, und schon wäre Schluss mit Schlamm. Ein Kleingartensiedlungsnachbarsgärtner erbot sich daraufhin, im Baumarkt diesen Schotter für sie beide zu kaufen. Walter war schon immer ein genauer Rechner und fragte deshalb nach dem Preis.

"Nicht arg", erwiderte sein Gärtnerkollege. "12,50 für 25 Kilo."

"Aber das sind ja 50 Cent pro Kilo!", folgerte Walter empört. "Da habe ich die viel bessere Idee."

Schon anderntags, an einem Freitag knapp vor 13 Uhr, setzte Walter diese Idee um, indem er sich in seinen doch schon sehr angegrauten VW-Polo setzte, und diesen samt vom Schwiegervater in spe ausgeliehenen Zweiradanhänger zu einem Schotterwerk im Süden von Graz lenkte. Rasch war unter den zur Handprobe ausgestellten Schottersorten die passende ausgewählt und der Anhänger zur Leergewichtsmessung auf die Waage gestellt. Walters Augen suchten schon nach der Stelle, wo er sein bestelltes Schüttgut aufladen konnte. Deshalb übersah er die Gruppe LKW-Fahrer, die – angesichts der lässig in den Händen gehaltenen, offenen Bierflaschen – ihr Tagwerk wohl schon beendet hatten und interessiert zu ihm herüberschauten. Ein VW-Polo samt Kleinanhänger fällt zwischen 40-Tonnern eben auf wie ein Pantomime auf der Bühne während eines AC/DC-Konzerts.

"Des wird oba spaunnend", sagte ein Berufsfahrer zu seinem Nebenmann. Alle harrten sie der kommenden Dinge.

Walter hatte in der Zwischenzeit seinen Schotterhaufen gefunden und machte dem Lenker des riesigen Schaufelbaggers ein Zeichen, dieser könne nun mit dem Beladen des Anhängers beginnen.

"Wie vü wüst?", kam es von hoch oben.

"Halb voll!", schrie Walter zurück.

"Moch ma!"

Die Baggerschaufel grub sich in den Berg, stieg in die Höhe wie ein Albatros nach dem Fischfang und begann, ihren Inhalt durch sachtes Kippen auf Walters Anhänger zu verfrachten. Walter sah bereits wunderschön geschotterte Wege zwischen seinen Beeten, doch als er sein inneres Auge wieder nach außen drehte, erweckte etwas ganz anderes seine Aufmerksamkeit: Beide Reifen seines Anhängers, die langsam, aber beständig ihre angestammte Form verloren, weil sie von oben flachgedrückt wurden.

"Stopp!", rief Walter in einem ersten Anflug von Panik. "Genug Schotter! Eigentlich viel zu viel!"

"Des passt scho", schrie der Baggerfahrer zurück. "Kost' eh an Dreck, des Zeig!"

Der Motor des Polo protestierte heftig, als Walter seinen bis an den Rand gefüllten Anhänger zum erneuten Abwiegen bugsieren wollte. Die Kupplung krachte, die Räder griffen erst beim zweiten Versuch. Mit viel Einfühlungsvermögen schaffte er es jedoch – eine Vorgehensweise, die schon so manchen VW-Fahrer (den Chronisten eingeschlossen) aus brenzligen Situationen gerettet hat.

Die versammelte Schar aus gestandenen Berufskraftfahrern staunte gemeinsam mit Walter, als sich die Anzeige der Gewichtsmessung bei rund 900 Kilogramm einpendelte.

Wo liegt jetzt das zulässige Höchstgewicht des beladenen Anhängers?, überlegte dieser. Bei 350 oder 450 Kilo?

Als Walter schon nach passenden Worten suchte, mit denen er vom Baggerschaufelfahrer die Retourschauflung eines Teils des geladenen Schotters erbitten könnte, dröhnte es aus Richtung der Puntigamer-Vernichtungskompanie: "Brauchst a Fuhr, Klaner? I glaub nämlich net, dass du heit no weit kummst."

Zustimmendes Gelächter ringsum, was jedoch nur Walters Ehrgeiz anstachelte. Die werden gleich sehen, was in mir und meinem Polo steckt, dachte er sich. Jetzt kriege ich echt viel Schotter für echt wenig Kies, also bringe ich ihn auch nach Hause!

In der Tat bezahlte Walter für die gesamte Ladung 12 Euro, also exakt fünfzig Eurocent weniger als die vom Kleingartensiedlungsnachbarsgärtner veranschlagte Summe für 25 Kilo. Von einem derart guten Geschäft in seinem Tun bestärkt, winkte er lässig zu den LKW-Fahrern hinüber und rief: "Alles im grünen Bereich!"

Nun ja, im grünen Bereich war alles nur, so lange sämtliche in jeder vorstellbaren Tonlage knirschenden Einzelteile des Polo zusammen mit den Reifen des Kleinanhängers nicht schlapp machten und zudem alle Ampeln am Heimweg auf Grün standen. Walter hatte heftige Zweifel, ob er die Karre wieder würde in Bewegung setzen können, sollte er vor einem Verkehrsrotlicht oder aus irgendwelchen anderen Gründen halten müssen. Er vollbrachte die bemerkenswerte Kunst, jede ampelgeregelte Kreuzung derart exakt anzubremsen, dass er genau in dem Moment, wenn er mit seiner überdimensionierten Last anrollte, freie Fahrt bekam.

Und so schaffte Walter es tatsächlich bis zur Kleingartensiedlung, wo sein Gartennachbar bereits wartete, mit der Schaufel im Anschlag.

„Organisier’ lieber ein paar Scheibtruhen“, schnaufte Walter erleichtert, „und trommle die anderen zusammen. Ich denke, es ist genug für alle da.“

Ob Walter jemals wieder im Schotterwerk war, hat er mir nicht verraten. Ich weiß nur, dass er seinem Schwiegervater in spe den Zweiradanhänger zurückgegeben hat – mit dem dringenden Hinweis, vor dessen nächstem Einsatz die Reifen ganz genau zu prüfen.

Erkenntnis des Tages: Walter war von seinem Schottertransport so überzeugt, dass er einfach klappen musste. Wer anderen Menschen ein Projekt auszureden versucht oder es unmöglich nennt, weil er selbst nicht über die Vorstellungskraft verfügt, wie es funktionieren kann, ist ein schlechter Ratgeber. Viel besser passt der Satz: „Ich kann nicht viel dazu sagen, freue mich aber über deine Begeisterung. Pack’s an!“ So wie Walter.

 Zitat des Tages: „Du bist sehr hübsch. Warum Single?“ (Bin ich froh, dass der KB noch auf Urlaub ist! Nach Erhalt dieser Facebook-Nachricht wäre er sofort auf Freiersfüßen losgezogen.)

FB Posting Anmache

Video des Tages: Ein Herzog im Baumarkt (Der Kabarettist und begnadete Parodist Alex Kristan besucht als Ex-Teamfußballer Andreas Herzog den Baumarkt – ein echtes Schmankerl!)
https://www.youtube.com/watch?v=P9nValjVWiM

Feder

 

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