Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

19. Mai 2020: Was sich ändern könnte - und was nicht

 Immer wieder taucht bei allen Corona-Gesprächen die Frage auf, wie sich die Gesellschaft, die Wirtschaft und überhaupt eh alles durch die Krise verändern werden. Meine vorsichtige erste Schätzung nach über zwei Monaten Leben in der neuen Realität: Viele Dinge werden sich ändern. Und die meisten Menschen werden gleich bleiben. Als Beispiel für diese vielleicht gewagte These möge eine kleine Episode aus meinem Erwerbsleben dienen.

Kürzlich habe ich ein neues Projekt gestartet, das dem Trend zu mehr Regionalität folgt. Die weit herumgekommene Señora Corona hat vielen Leuten eine bedeutende Tatsache vor Augen geführt: Immer mehr Menschen reisen nicht nur um die ganze Welt;  dabei haben sie auch alle bekannten und unbekannten Viren, Bakterien und sonstige ungustiösen blinden Passagiere im Gepäck. Wer weiß denn, ob diese mikroskopisch kleinen Wesen, die samt und sonders zur Achse des Bösen gehören (das behauptet zumindest ein stabiles Genie namens Donald Trump, seines Zeichens Präsident der Uneinigen Staaten von Amerika), nicht im ebenfalls von einem Kontinent zum anderen springenden Obst und Gemüse mitfahren? Die sehr reale Angst hinter dieser These treibt viele Menschen in die Hofläden und Bauernstadl der Direktvermarkter unserer Gegend.

Die Idee, diesen Anbietern regionaler Produkte einen passenden Verkaufsplatz zu bieten, fand bei vielen von ihnen sogleich Anklang; zumal ich aufgrund meiner Überzeugung von diesem Vorhaben ein risikoloses Probemonat anbot. Umso erstaunter war ich deshalb, als bei der ersten Besprechung nur noch die Hälfte der Interessenten anwesend war. Auch zwei, die mir bereits begeistert zugesagt hatten, fehlten und blieben auch jede Begründung ihrer Absage schuldig.

Für den Sinneswandel kann es nachvollziehbare Ursachen geben, die ich hier auch nicht erforschen will. Das Erlebnis aus meinem Berufsalltag möge nur ein größeres Bild über die unterschiedlichen Beurteilungen eines Themas zeichnen, von Menschen mit gleichen (oder zumindest vergleichbaren) Voraussetzungen. All jene, die Veränderungen schon immer als Chance gesehen haben, etwas Neues zu machen oder eine andere Richtung einzuschlagen, werden gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen. Schon deshalb, weil bereits vorhandene Achtsamkeit weiter vertieft werden wird.

Innovative Leute mit Freude am Um-die-Ecke-Denken, am Erfinden und Ausprobieren, werden ihre Vorhaben in die Tat umsetzen. Nicht unbedingt nach dem Motto Jetzt oder nie, aber doch in dem Wissen, das Warten keinen Sinn mehr hat. Worauf denn, bitteschön? Auf die zweite Welle, das nächste Virus, die eintausendzweihundertvierunddreißigste Weltverschwörungstheorie? Dann schon lieber den Schub nutzen – auch wenn er ungewollt und von außen gekommen ist –, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Und ja, auch die USA werden sich erholen und diesen Weg einschlagen. Denn während der Österreicher eher zur Frage neigt: „Warum soll ich das machen?“, hört man vom US-Amerikaner ein tatkräftiges „Warum nicht?“

Jene Personen, die Señora Corona als riesengroße Gefahr für sich, das Land und die ganze Welt sehen (in dieser Reihenfolge), vor der man sich mit dem panischen Ruf „Wir werden alle sterben!“ in den hintersten Winkel verkriechen muss, werden sich auch irgendwann wieder freuen können. Am meisten darüber, dass sie ihr vor der Krise gewohntes Leben mit wenigen, erträglichen Änderungen werden fortführen können. Die Masken werden wir in naher bis mittlerer Zukunft wohl ablegen dürfen, sensible Bereiche wir Krankenhäuser und Altersheime ausgenommen. Ein bisserl Abstand in Lokalen ist nicht das Schlechteste; ich kenne niemanden, der Drängeleien mag. Der Rest ist Anpassung und ein bisschen Organisation, bis das in jenen Kreisen allseits beliebte Passt scho’! mit einem Seufzer der Erleichterung ausgestoßen werden kann.

Ich gebe es freimütig zu: Diese Prognose ist leichter anzustellen als eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Dinge sich ändern werden. Der Kernölbotschafter – übrigens lässt er seine vielen weiblichen Fans so ausdrücklich wie herzlich grüßen – und ich leben bekanntlich am Land. Nicht ganz in der Pampa, aber auch nicht wirklich weit weg davon. In der aktuellen Situation ist das für uns alle hier ein Glücksfall: Wir haben unsere Gärten, Felder und Wälder, waren also nie wirklich eingesperrt. Wenn Sie mir aber den Versuch eines Ausblicks gestatten, der auch weit weg von der Wahrheit sein kann, will ich ihn gerne wagen.

Die Mobilität wird sich weltweit ändern, davon bin ich überzeugt. Vielleicht nicht überall zum Besseren – Josef Urschitz schreibt in der Presse von der Zunahme des Individualverkehrs aufgrund der Angst, sich in öffentlichen Bussen oder Zügen anzustecken. Doch in der Luftfahrt wird es mit Sicherheit eine längst fällige Marktbereinigung geben. Der Irrsinn, um 30, 40, 50 Euro nach Madrid oder London zu fliegen, wird hoffentlich bald der Vergangenheit angehören. Kostenwahrheit im Frachtverkehr, die für einen nachhaltigen Strukturwandel auf den weltweiten Transportrouten sorgen würde, werden wir nicht sofort bekommen, aber ein Schritt in diese Richtung passiert schon.

Auch im Tourismus wird es zu einem Wandel kommen. Ischgl sei nicht nur ein mahnendes Beispiel, sondern auch ein Anstoß nachzudenken, ob es zu Massenabfertigung per Après-Ski-Halligalli nicht doch Alternativen gibt, bei denen die ansässige Bevölkerung wie auch die vom Ansturm belastete Natur mitgehen können. Der Sommer wird schon spannende Hinweise darauf geben, wohin die sprichwörtliche Reise in diesem auch für unser Land so wichtigen Sektor möglicherweise führt.

Ein objektiver Zukunftsblick ins Gemeinwesen, in die Zwischenmenschlichkeit ist schwierig, weil in mir zu viel Hoffnung und Optimismus mitschwingen. Die Hilfsbereitschaft im März und April war eine sehr schöne Erfahrung, aber sobald die Gefahr abflaut, könnte Gleiches auch mit der persönlichen Generosität passieren. Nicht bei allen, aber es wird doch eine Rückkehr zur Vor-Corona-Zeit geben. Am Ende darf ich Ihnen von einer großen Freude berichten: Mein Projekt wird starten, was mein Vertrauen in die Möglichkeit stärkt, dass Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur regional einkaufen, solange es halt schick ist, sondern ein Bewusstseinswandel eintreten wird. Hin zur Qualität von Produkten, die in unserer nächsten Umgebung wachsen, zubereitet und veredelt werden. Wer den Wert dieser Produkte – der in Wahrheit weit über das pure Lebensmittel hinausgeht – erkennt, wird auch einen angemessenen Preis dafür zahlen.

Wie sagt der gebürtige Südoststeirer so schön? Gemma’s aun!

Erkenntnis des Tages: In den letzten Wochen war ich in vielen Hofläden der Region unterwegs, auch im sehr empfehlenswerten Geschäft von Biobauer Willi Grain in Gossendorf, dessen Regal Sie im Bild sehen. Die Vielfalt, Qualität und der Ideenreichtum der Bäuerinnen und Bauern ist beeindruckend. Jene zarte Rüge meines Mitarbeiters Johann („Du musst halt mehr in der Gegend umfahren, nicht nach Italien. Dann siehst du auch mehr!“) nehme ich sohin schuldbewusst als berechtigt entgegen. Nach Italien möchte ich trotzdem bald wieder!

Zitat des Tages: „Oma, ich habe dein neues Mobiltelefon auf deine Bedürfnisse eingestellt.“ (Die zweifellos gut gemeinte Idee meines Neffen Jakob kostete mich eine nächtliche Stunde, um alles wieder so herzurichten, dass Mama einfacher üben kann. Für ihre Bereitschaft, etwas ganz Neues zu lernen, bewundere ich meine Mutter sehr. Schließlich hat sie zu ihrem 80. Geburtstag ihr erstes Smartphone bekommen!)

Song des Tages: Somewhere Over The Rainbow (Heute hätte Israel "IZ" Kamakawiwoʻole seinen 61. Geburtstag gefeiert, der dieses weltberühmte Lied so wunderschön interpretiert hat. Was die Zukunft auch bringen mag: Irgendwann folgen wir alle IZ nach – ins Land über dem Regenbogen.)
https://www.youtube.com/watch?v=V1bFr2SWP1I

Feder

 

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